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Dänisches Sushi

Zur UA frei | in der engeren Auswahl für den Chemnitzer Theaterpreis für junge Dramatik 2020 | für 3 - 6 Schauspieler:innen

Als Andersen sein weltberühmtes Märchen über die kleine Meerjungfrau schrieb, erzählte er eigentlich die Geschichte seiner so unglücklichen wie heimlichen Liebe zu einem Mann. Das Motiv des weiblichen Selbstopfers beflügelte die Kunst schon immer. Doch wie entstand daraus eine der erfolgreichsten mythischen Frauenfiguren? Wer könnte das besser erzählen, als die kleine Meerjungfrau selbst! Konfrontiert mit dem zweifelhaften Denkmal, das der Autor ihr setzt, kriecht die Meerjungfrau mit ihrem mehr als unpraktischen Fischschwanz durch die Jahrhunderte. Immer wieder trifft sie auf weitere Künstler, deren Sehnsüchte sie stets auf ihren Opferstatus zurückwerfen. Sie alle feiern die weibliche Leidensfähigkeit, sie alle sind zufällig Männer. Mit allen Diskurswassern gewaschen weigert sich die kleine Meerjungfrau bis zum Ende, ihre Stimme fremden Darstellungen unterzuordnen. Das Stück umkreist die Geburt einer Projektionsfläche und die absurden Wellen, die sie noch immer schlägt. Wie gehen wir heute mit Opferfiguren um, welche Fetische generieren alte Geschlechterbilder und wie steht es tatsächlich um den Wunsch nach neuen Geschichten, wenn die alten so munter im Kielwasser der Gegenwart mitschwimmen?

Vorabdruck (Auszug) in: Metamorphosen 29: Dialoge. Magazin für Literatur und Kultur, 03/2021.

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